
Jean-Michel Lou
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Descriptif auteur
Il a enseigné le français en France, en Afrique (Mauritanie, Tchad) et en Autriche et enseigne actuellement la littérature française à l'Université de Vienne (Autriche), avec une attention particulière à la Chine. Il est par ailleurs travailleur social. Ses origines chinoises l’appellent vers une hétérotopie qui est aussi un lieu intérieur, et prend parfois le nom de « Chine », voire de « Japon ». Quelques livres témoignent de sa démarche, notamment : Corps d’enfance corps chinois (Gallimard), Le Japon d’Amélie Nothomb (L’Harmattan), qualifié de "passionnant et extrêmement brillant" par l'intéressée, Le coeur du vide (L'Harmattan), et dernièrement : L'autre lieu, De la Chine en littérature (Gallimard)
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AUTRES PARUTIONS
"Corps d’enfance corps chinois. Sollers et la Chine", Gallimard 2012
"L'autre lieu. De la Chine en littérature", Gallimard 2021
LES CONTRIBUTIONS DE L’AUTEUR
LES ARTICLES DE L'AUTEUR
Maulpoix quand même
A propos du recueil de poésie de Jean-Michel Maulpoix : Le jardin sous la neige, Mercure de France 2023
- texte original en francais
- version en allemand (trad. Margaret Millischer)
Vivre, écrire. Michel Leiris
LEBEN, SCHREIBEN. MICHEL LEIRIS
Warum schreiben?", für wen schreiben?", was heißt Schreiben?", das sind die großen Fragen Fragen, die einst Jean-Paul Sartre, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, in seinem Buch Was ist Literatur, Qu'est-ce que la littérature? gestellt hat. Keine Fragen nach der Essenz (wir sind heute nach wie vor uneinig, was Literatur, was Schreiben ist), Sartre selbst versteht seine Reflexion immer als situativ, wie es der Titel seiner Reihe literaturanalytischer Texte bezeugt: Situation. Situation 1, 2, 3 bis 10. Situation des Autors 1947"(Titel eines Kapitels von Was ist Literatur).
Manche haben damals gemeint dass, nach Auschwitz und Hiroshima, man nichts mehr sagen, nichts mehr erzählen, nichts mehr schreiben kann, schreiben darf. Wie könnte man noch irgendetwas erzählen, nachdem die Realität jede Fiktion, jede horrende Vorstellung an Grausamkeit übertraf? War der Tod des Erzählens, der Tod des Romans, eingetreten? Ausschwitz und Hiroshima markieren zumindest den Beginn einer anderen Art des Erzählens (wie vorher die Sinnkrise nach dem ersten Weltkrieg einen Wendepunkt im europäischen Romans auslöst, den Moment Proust-Kafka-Broch-Svevo-Joyce-Musil).
Erzählen, ohne zu erzählen. Kenzaburō Ōe erzählt Hiroshima ohne es zu erzählen, indem er in seinem Roman Eine persönliche Erfahrung über sein eigenes Leiden um die Geburt seines geistig behinderten Sohnes berichtet (der Roman ist zwar formell eine Fiktion, aber der Icherzähler sieht dem Autor sehr ähnlich). Georges Perec erzählt die Shoah ohne sie zu erzählen in seinem merkwürdigen Roman W oder die Kindheitserinnerung, die folgendermaßen beginnt: Ich habe keine Kindheitserinnerung". W besteht aus zwei verschiedenen, dem Anschein nach voneinander unabhängigen, alternierenden Erzählungen: brüchige Kindheitserinnerungen des Erzählers und eine seltsame Allegorie von einer Insel namens W, in der die Jugend die Herrschaft übernommen hat und ihrem Körperkult in der Organisation von Olympiaden Rechnung trägt; die Teilnahme daran fördert Konkurrenzkampf, Selektion und letztendlich Elimination der Schwächeren zutage. Perec liefert keinen Kommentar, keinen Schlüssel. Georges Perec, französischer Autor jüdisch-polnischer Abstammung, hat seine Mutter in Auschwitz verloren, was im ersten Teil von W angedeutet wird. Aber es gibt keinen Hinweis darauf in seinen anderen Büchern, die sich spielerisch (verspielt), skurril, lustig, poetisch lesen lässt, und das ich als eine einzige Verschiebung, Differanz des Unsagbaren lese.
Michel Leiris hat nicht auf die Nachkriegszeit und das Zeitalter des Verdachts", L'Ère du soupçon, um es mit Nathalie Sarraute zu sagen (der Verdacht"ist mir lieber als das Misstrauen"der deutschen Übersetzung), gewartet, um diesen fundamentalen Zweifel an der Literatur, der Erzählung, des Schreibens zu haben. Der ganze Text Leiris, le texte Leiris, erzählt von der Unmöglichkeit zu erzählen. Er ist sozusagen die Inszenierung des Zweifels, der Unzulänglichkeit, des Scheiterns (seine mise en scène, mise en écriture). Aber das führt paradoxal zu Büchern wie seiner Tetralogie Die Spielregel, die heutzutage zurecht als Meisterwerke der Weltliteratur gelten und z.B. heute Abend in Wien, Mitteleuropa, im Jahr 2017 (übrigens 70 Jahre nach Sartres Fragestellung), in deutscher Sprache kommentiert werden. Also ein sehr erfolgreiches Scheitern
Woran scheitert er? Am Anfang, während seiner surrealistischen Periode will er die Welt verändern", changer la vie, dem Aufruf Rimbauds und Marx folgend. Rimbaud, Marx, stellen für Leiris die zwei Horizonte, Poesie und Revolution dar, die er vereinen möchte, Inneres und Äußeres, Kontemplation und Aktion, Literatur und Politik, Schreiben und die Welt. Als junger Dichter träumt er, wie viele vor und nach ihm, das Buch zu schreiben, das Buch, wie Mallarmé sagt, das alle Bücher enthielte". La vraie vie est ailleurs, das wahre Leben ist anderswo (noch einmal Rimbaud), es geht darum, durch den poetischen Augenblick dem alltäglichen, gemeinen Leben zu entkommen. Es gibt bei Leiris wie bei den Surrealisten, nach Rimbaud und Mallarmé, einen quasi religiösen Glauben an das Medium, das die Tür zum wahren Leben öffnet: die Sprache. Aber vielleicht ist das mallarmeische Buch der unerreichbare Horizont jedes Schreibenden. Wir wissen es: Das Scheitern ist vorprogrammiert.
Leiris versucht sich am Beginn seiner Autorenkarriere in den klassischen literarischen Genres, Poesie, Roman. Seine Gedichte schöpfen aus den Träumen und dem Unbewussten, am Beispiel der Surrealisten, mit einer inflationären Verwendung eines ekstatischen Vokabulars und sie ähneln einer Parodie des Surrealismus und dessen Posen. Man hat den Eindruck, dass er ihn in einer Form fixiert und verhärtet, um ihn zu töten (oder zumindest zu überwinden). Und er schreibt einen einzigen Roman, Aurora, schon autobiographisch", nach dem Modell von Gérard de Nervals Aurelia; ich bezeichne ihn als eine fantastische Autobiographie"; er ist eine Art Dekonstruktion des Romans als Genre. Und das Theater ? Leiris ist seit seiner Kindheit vom Theater und von der Oper fasziniert und einige dramatische Figuren haben seine ganz persönliche Mythologie integriert, indem sie Regionen seiner Psyche verkörpern. Von seinem frühen Kontakt zum Theater bleibt eine Zuneigung für die Helden (vor allem die tragischen) und eine Tendenz zu dramatisieren - er begibt sich mutwillig in gefährliche oder demütigende Situationen, von denen er eine Erlösung von seinem Körper und von sich selbst erwartet und die in seinen, in Fibrillen erzählten Selbstmordversuch kulminiert. Das dramatische Element ist auch erkennbar in seiner Liebe zum Stierkampf, den er auch als Metapher für die Literatur nimmt, De la littérature considérée comme tauromachie; der Stierkampf ist ja der Inbegriff des Dramas: sowohl Gefährdung (Spiel mit dem Tod) und Inszenierung, mise en danger et mise en scène. Aber Leiris hat kein Theaterstück geschrieben, abgesehen von einigen grotesken, parodistischen Szenen in seinem Tagebuch, die einer Hinrichtung des Dramas als Genre ähneln.
Poesie, Roman, Theater, Leiris lässt die großen Genres der abendländlichen Literatur, obwohl sie seine spirituelle Nahrung sind, beiseite. Er wird nicht das ersehnte, ultimative Buch schreiben. Er wird auch nicht sein Ich"in einem poetischen oder revolutionären Akt mit der Welt verschmelzen. Stattdessen wird er immer mehr zu sich selbst zurückgeworfen. Abgesehen vom Tagebuch, das er ab dem Jahr 1922 führt, beginnt die Selbsterkundung durchs Schreiben mit dem Buch Phantom Afrika, erschienen 1934, das ursprünglich der Bericht der ethnologischen Expedition Dakar-Djibouti sein soll, die er als Sekretär begleitet, aber nach und nach eine Art intimen Tagebuchs wird (es ist bezeichnend, dass Leiris, während dieser Periode, das Niederschreiben seines eigentlichen Tagebuchs unterbricht, um es nach der Expedition wieder aufzunehmen). Ab diesem Zeitpunkt schreibt Leiris nur mehr sich selbst. Seine Form sucht er im autobiographischen Genre, das in Frankreich zwar marginal ist aber gekennzeichnet durch zwei berühmte Vorgänger, Montaigne und Rousseau (ohne die Essays und die Bekenntnisse, die für Leiris Modelle und Orientierungslinien sind, gäbe es die Spielregel nicht).
Mannesalter, das erste, im wahrsten Sinn des Wortes autobiographische Buch Leiris, ist fast das Gegenteil von einem Tagebuch, denn er setzt das Portrait des Selbst aus ein paar Motiven erotischer Natur und mittels scheinbar sehr strukturierter Kapitel zusammen. Trotz einiger sexueller Bekenntnisse à la Rousseau (aber ich orte auch starke Analogien mit Mishimas Geständnis einer Maske), ist das Ich"in Mannesalter meines Erachtens nicht nahe bei ihm selbst: es ist dramatisiert, mythologisiert, literarisiert. Das Buch löst sich am Schluss langsam auf und zeigt dabei seine allzu künstliche Natur.
Dieser Zerfall der Komposition, dieses Schwinden des Literarischen führt Leiris zu seinem vielfältigen, eigensinnigen, einzigartigen Werk, von dem wir einige Ausschnitte im ersten Teil dieses Leiris gewidmeten Abends gelesen haben, Die Spielregel. Es ist unmöglich, Die Spielregel zu beschreiben, ja zu deuten (obwohl zahlreiche, oft scharfsinnige Kommentare darüber geschrieben wurden). Leiris wusste wahrscheinlich nicht, wohin er ging, als er sein Werk begann, das sich im Laufe der 36 Jahre, die seine Entstehung gedauert hat, nach und nach verwandelt. Er beschließt, alles zu sagen", ohne Emphase".
Die Autobiographie, sich schreiben"kann auch eine Strategie sein, aus dem Erzähldilemma herauszukommen (vielleicht nicht vollständig zu lösen, aber zumindest zu umgehen). Leiris nimmt sich als Objekt seiner Beobachtung, verfährt mit sich selbst ein wenig wie mit einem Forschungsobjekt (er sammelt Erinnerungen und ordnet sie anhand von Karteikarten wie anthropologische Gegenstände - man hat tatsächlich seine autobiographischen Werke als eine Anthropologie des Ichs"bezeichnet). Es gibt etwas zu erzählen, ohne gleich dem Verdacht der Fiktion zu verfallen. Ich"ist das Objekt, das Ich"am besten kennt (woran man zweifeln kann: ist es möglich, sich selbst zu kennen? Leiris nach Montaigne ist sich dessen nicht so sicher). Es entsteht ohnehin eine Art Dokument und dem Leser wird Wirklichkeit"suggeriert. Ich werde euch etwas über mich erzählen, sagt der Autor den LeserInnen und erzeugt damit bei ihnen eine Erwartungshaltung. Das ist, was Philippe Lejeune den autobiographischen Pakt"genannt hat. Leiris verspricht Authentizität", Aufrichtigkeit". Ergibt sich da ein Trugbild?
Was heißt das, eine Sprache für sein eigenes Leben zu finden? Was heißt Schreiben? Das eigenwillige Unterfangen eines Zeitgenossen wie Karl-Ove Knausgård, sich schonungs- und rückhaltlos zu schreiben, hat viel Gemeinsames mit Leiris Egotexten. Der Anstoß ist derselbe: Knausgård liest Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und beschließt Min kamp zu schreiben; Leiris liest Prousts Werk zum zweiten Mal in Le Havre und schreibt die erste Fragmente von dem, was Die Spielregel werden wird. Aber die Haltung, die beide Autoren verbindet, ist in erster Linie das Streben nach kompromissloser Authentizität, d.h. nach Wirklichkeit. Das geht einher mit einem Argwohn gegenüber der Fiktion; Leiris behauptet, das alles, was er über sich selbst schreibt, wahr"ist und die Erzählung Knausgårds, der seine Präferenzen als Leser für Essays und Aufzeichnungen betont, ist eine Art Bericht, vermeintlich von Fiktion, ja von Literatur, befreit. Aber kann man aufhören, sobald man schreibt, Literatur zu machen? Genügt es, ohne Emphase"zu schreiben? Leiris wie Knausgård geben als Garantie für die Authentizität, zu der sie sich bekennen, die Schonungslosigkeit, mit der sie mit sich selbst umgehen (und bei Knausgård auch mit den anderen; Leiris hingegen bleibt diskret, schont seine Nächsten, macht nicht einmal in seinem Tagebuch Enthüllungen, abgesehen von seltenen Szenen, z.B. wenn er den Kopf der betrunkenen Simone de Beauvoir hält, während diese sich übergibt; es gibt bei Leiris fast nichts Anekdotisches, während Knausgård vor keiner Peinlichkeit zurückschreckt). Aber die Schonungslosigkeit mit sich selbst war schon Rousseaus Strategie der Bekenntnisse: die Offenbarung intimer Laster oder die Bloßstellung des Icherzählers in peinlichen Situationen lassen vermutlich die LeserInnen nicht daran zweifeln, dass der Autor die Wahrheit"sagt.
Sagt er die Wahrheit? Sagt er die Wirklichkeit? Was heißt hier authentisch"? Schreiben (und allein Denken, Wahrnehmen) induziert eine Verschiebung. Sosehr sich Knausgård bemüht, an der sogenannten Realität zu kleben (er erspart uns kein triviales Detail), sein Ichbericht ist doch kein Bericht; seine Erzählungen, die weder linear noch chronologisch sind, ähneln unter diesem Aspekt Leiris Text. Mannesalter und Die Spielregel versuchen zwar der Frage wer bin ich?"nachzugehen, aber sie sind fragmentarisch, um bestimmte Motive und Schlüsselmomente komponiert: Inszenierungen. Selbstinszenierungen. Ist das weniger verdächtig als Fiktion? Kann man der Wirklichkeit gerecht werden?
Thomas Stangl und ich haben hier vor einigen Jahren unseren französisch-österreichischen Dialog begonnen u.a. mit dem Motiv: Gibt es die Wirklichkeit wirklich?"Wir spinnen nun die Frage weiter: gibt es Ich wirklich?". Hier eine berühmte Allegorie aus der chinesischen Literatur: Zhuangzi träumt, dass er ein Schmetterling ist; er wacht auf; wer ist er jetzt? ist er Zhuangzi, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling, oder ein Schmetterling, der träumt, er sei Zhuangzi? Die Wirklichkeit"ist nur eine Hypothese (und Sie? Sind Sie ganz sicher, jetzt, dass Sie nicht gerade träumen?). Ein realistisches Ichportrait machen zu können setzt voraus, dass es ein Ich"gibt, d.h. eine Essenz, ein Subjekt, gleichzeitig Objekt der Beobachtung und der Beschreibung. Aber wenn Ich"nur eine grammatikalische Konvention ist? Eine praktische Redewendung? Das Ich"lässt sich nicht festhalten, fixieren, denn es unterliegt dem Lauf der Zeit. Es ist in Bewegung, in Verwandlung, in Auflösung begriffen. Schon Proust sagt uns dies; Auf der Suche nach der verlorenen Zeit beginnt mit der berühmten Szene des Aufwachens, wo das Ich (der Erzähler als Kind) sich nicht wiedererkennt. Und lange vor Proust, Leiris und Knausgård: Montaigne. Ein paar Zeilen von Montaigne zum Schluss (Montaigne sagt alles - er enthält Leiris zur Gänze):
Ich jetzt und Ich zur früheren Stunde sind wohl zwei." Moi à cette heure et moi tantôt sommes bien deux III,9
Je mehr ich mich in mich vertiefe und mich kenne, desto mehr wundert mich meine Formlosigkeit, und desto weniger verstehe ich mich."plus je me hante et me connais, plus ma difformité m'étonne, moins je m'entends en moi III,11
Ich male nicht das Sein, ich male den Übergang, nicht von einem Alter zum anderen, sondern von Tag zu Tag, von Minute zu Minute" Je ne peins pas l'être, je peins le passage, non un passage d'un âge à un autre, mais de jour en jour, de minute en minute III,2
Wir sind alle Fragmente und von einem Stoff so unförmig und verschieden, dass jedes Stück, jeder Augenblick sein Spiel macht. Es gibt so viel Unterschied von uns zu uns, wie von uns zum Anderen."Nous sommes tous de lopins, et d'une contexture si informe et diverse, que chaque pièce, chaque moment fait son jeu. Et se trouve autant de différence de nous à nous-mêmes, que de nous à autrui II,1
Warum zitiere ich Montaigne, von Leiris sprechend? Es ist derselbe Text. Es ist derselbe, sich fortwährend schreibende Text (vielleicht handelt es sich um das Buch, von dem einst Mallarmé träumte). Warum schreibt Leiris? Am Beginn, um die Welt zu verändern"; und dann, immer mehr, einfach so; um der Angst und dem Tod einen Streich zu spielen; für die Freude am Schreiben, Zeile für Zeile, Wort für Wort; pour le plaisir du texte. Für wen schreibt er? Für sich selbst; für Zette, seine geliebte Frau ; für seine Zeitgenossen; für seine Vorgänger, für Montaigne, Rousseau, Rimbaud, Proust und alle anderen; für die Zukunft: für euch, für mich, für uns. Und was heißt Schreiben? Aber ich werde nicht wieder von vorne beginnen.
Jean-Michel Lou, Wien, 13.12.2017
Nerval, Vienne
Conférence bilingue tenue à l'Institut français de Vienne, le 9 octobre 2015, dans le cadre du "salon littéraire". La conférence est adaptée de l'article : "Nerval, Vienne", paru dans L'Infini n°122, Gallimard, printemps 2013. Traduction allemande : Petra Lou. Lecture en allemand : Josephine Reich.
Il est un air pour qui je donnerais
Tout Rossini, tout Mozart et tout Weber,
Un air très vieux, languissant et funèbre,
Qui pour moi seul a des charmes secrets !
Or, chaque fois que je viens à l'entendre,
De deux cents ans mon âme rajeunit
C'est sous Louis treize ; et je crois voir s'étendre
Un coteau vert, que le couchant jaunit.
Puis un château de brique à coin de pierre,
Aux vitraux peints de rougeâtres couleurs,
Ceints de grands parcs, avec une rivière
Baignant ses pieds, qui coule entre des fleurs ;
Puis une dame, à sa haute fenêtre,
Blonde aux yeux noirs, en ses habits anciens,
Que, dans une autre existence peut-être,
J'ai déjà vue et dont je me souviens !
Voilà. C'est un des plus beaux poèmes de la langue française, un peu magique. Son auteur, sans lequel Baudelaire, Rimbaud, Lautréamont, Breton, n'auraient pas existé, est un petit homme bizarre, à la santé mentale fragile, mais doué d'une oreille et d'une sensibilité prodigieuses : Gérard de Nerval.
Or, il se trouve que ce grand poète est venu dans notre ville, Vienne. Ce séjour de quatre mois, en hiver de l'année 1839, représente un moment décisif dans sa vie et son écriture. C'est de cela que je veux vous parler ce soir.
Nerval, Vienne. Un point dans le temps, au cur du XIXe siècle bourgeois et romantique, visité de nostalgie de l'ancien. Un point fictif, puisqu'il se trouve intégré par le même Nerval dans son ouvrage Voyage en Orient, alors que, si un certain Gérard Labrunie, dit "de Nerval", a bien séjourné quelques mois dans un lieu nommé "Vienne", envoyé par le gouvernement du roi Louis-Philippe pour une obscure mission officieuse, son voyage en Orient réel n'aura lieu que plusieurs années après.
Que se passe-t-il à Vienne ? Il y a ce qui est visible, dont témoignent les articles qu'il envoie pendant son séjour à des revues de Paris, le texte Amours de Vienne qu'il reprendra dans son Voyage en Orient et s'inspire d'expériences réelles, des lettres, et des témoignages de tiers. On le voit dans ce qu'il appelle un "gastoffe" avec deux f, manger des saucisses, écrites "wurschell", avec du raifort râpé, boire un mélange de vin blanc et de vin rouge et même le trouver agréable, ce qui pour un Français, avouons-le, demande une grande ouverture d'esprit.
"gastoffe" pour Gasthof, "wurschell" pour Würstel, il écorche ainsi tous les noms, écrit "Kirchewasser" (probablement pour Kirschwasser), "Miedling" pour Meidling, "Hitzing" sans e pour Hietzing, etc En fait il ne savait pas très bien l'allemand, même si à vingt ans il a fait une traduction du Faust de Goethe qui fait encore aujourd'hui autorité à cause de ses qualités littéraires, mais pas pour sa maîtrise de l'allemand (il traduit par exemple "er schlägt das Buch auf" de l'original par : "il frappe le livre").
On le voit au bal, mais il ne sait pas danser la valse. Il flirte ; un jour il raccompagne une grisette dont il essaie d'obtenir davantage de faveurs, et elle lui dit : "Nix !", voici comment il le raconte : "elle m'a répondu : nicht ! ou, si tu veux, nix ! avec un accent résolu qui m'a fait penser à l'invasion de 1814" ; d'ailleurs il comprend mal les Viennois, donnant la faute au dialecte du lieu, il écrit : "je n'entends que fort peu le patois qui se parle à Vienne".
On le voit à l'ambassade de France, qui était alors sise au palais Starhemberg, où il rencontre notamment Liszt, la pianiste Marie Pleyel, maîtresse du précédent, qui servira plus tard de modèle à son personnage Pandora dans l'ouvrage éponyme, et aussi son confrère, l'ambassadeur de France en personne, le marquis de Sainte-Aulaire, lui-même traducteur du Faust de Goethe. Il y assiste à des concerts, joue à des charades.
Il loge "chez des blanchisseuses", dit-il, dans le quartier de Leopoldstadt, le faubourg le plus proche de la Ville, quémande constamment de l'argent à son père, en essayant de le convaincre qu'il est bien reçu partout et qu'il travaille, "cher papa", sa deuxième lettre, bourrée d'autojustifications, fait vaguement penser à la Lettre au père de Kafka il dit bizarrement que "l'Autriche est la Chine de l'Europe", trouve à Vienne un côté provincial, on n'y pense, dit-il, "qu'à manger et à danser". Bref, il s'y plaît bien.
Voilà ce qui est visible. Il y a d'autres scènes de ce genre ; arrêt sur l'image : Nerval à Schönbrunn, Nerval au Kohlmarkt, Nerval rendant visite au célèbre dramaturge et modeste fonctionnaire Grillparzer, Nerval assistant à des pièces de Raimund et Nestroy au fond rien de bien extraordinaire, rien qui sorte de l'anecdote. Mais que se passe-t-il vraiment à Vienne pour Nerval ?
Je pense que c'est à Vienne qu'il commence à basculer, c'est-à-dire à devenir le merveilleux écrivain que nous connaissons. On connaît sa légendaire et triste fin : il s'est pendu par une nuit de grand froid, rue de la Vieille-Lanterne à Paris, dans le quartier des Halles (pour ceux qui connaissent Paris, exactement à l'emplacement actuel de la loge du souffleur du Théâtre de la Ville ou Théâtre Sarah Bernhardt, place du Châtelet). Les dernières lignes écrites de sa main, adressées à sa tante, furent : "Ne m'attends pas ce soir, car la nuit sera blanche et noire."
Entretemps il a fait l'expérience de la folie et, à travers la folie et le rêve, de la transmigration des âmes, du voyage dans le Temps, de l'"analogie universelle" selon Novalis. Sans doute, à l'origine de sa blessure et de sa vocation poétique, la quête de sa mère, qu'il n'a pas connue et qui est morte en Prusse orientale (en Pologne actuelle), pendant une campagne de Napoléon, accompagnant son mari médecin des armées impériales ; Gérard avait deux ans.
En Prusse. À l'Est. En terre allemande. D'où la passion de Nerval pour l'Allemagne, la littérature allemande dont il est un traducteur passionné (il sera un grand ami de Heine), l' "Est". Voyage en Orient. Vienne, pour lui, c'est aussi l' "Allemagne", mais une Allemagne autre, gaie, légère, avec tout ce qui est lié au cliché, qui fonctionne toujours aujourd'hui, de "Vienne". Musique, danse, théâtre, fêtes, les femmes viennoises... C'est l'envers visible que j'ai esquissé tout à l'heure.
Or, Gérard arrive à Vienne en novembre 1839, le 29 de ce mois est la date anniversaire de la mort de sa mère. Il déprime ; "je suis un peu fatigué" écrit-il à son père. Il y a un moment, à Schönbrunn, où je vois Nerval en train de basculer (ou plutôt je reconstruis ce moment à l'aide des textes successifs) : il a déjà décrit Schönbrunn dans des articles écrits à Vienne ; mais treize ans après, à Passy, dans la clinique psychiatrique du docteur Blanche, il écrit la suite de ses "Amours de Vienne" : c'est Pandora.
Il est déjà passé de l'autre côté ; le souvenir de Vienne s'est mué en un précipité d'où émergent des figures et des lieux, mêlés à d'autres souvenirs, fondus dans le flux chaotique de l'imagination ; Schönbrunn apparaît : " j'ai promené mes rêveries sur les rampes gazonnées de Schoenbrunn. J'adorais les pâles statues de ces jardins que couronne la gloriette de Marie-Thérèse et les chimères du vieux palais m'ont ravi mon cur pendant que j'admirais leurs yeux divins et que j'espérais m'allaiter à leurs seins de marbre éclatant." En lisant vite cette phrase, on pourrait voir une séquence charmante, un peu précieuse, "ravissante", comme Nerval a su en faire ; mais non, il faut lire à la lettre : c'est le "cur" qui est "ravi", comme le "corps" est "emporté", "transporté", c'est l'extase que je lis.
Il y a une autre version, abandonnée, du même moment : "J'ai pleuré devant les statues sur les rampes gazonnées de Schönbrunn, j'ai placé là mon frère et ma mère et ma grande aïeule Maria Térésa !..." Rien que ça. "Mon frère", avec lequel manifestement il s'identifie, c'est l'Aiglon, lui aussi privé de mère, consumant sa mélancolie dans sa chambre du château de Schönbrunn ; l'Aiglon, c'est le duc de Reichstadt, le fils de Napoléon et de Marie-Louise d'Autriche ; "ma mère", c'est l'archiduchesse Sophie de Bavière, qui a été une mère ou une grande sur très aimante pour l'Aiglon. Nerval délire, bien sûr.
Après son séjour à Vienne, il avait eu une crise nerveuse, qui avait nécessité le premier de ses nombreux séjours en clinique psychiatrique ; là, il a tenu à un ami, venu le visiter à Picpus, ces propos inquiétants : "Moi, je descends de Napoléon, je suis le fils de Joseph Bonaparte, frère de l'Empereur, qui reçut ma mère à Dantzig".
Il y a donc ce moment de bascule. A-t-il lieu sur place, à Vienne, au pied des chimères de Schönbrunn, ou bien un an plus tard, dans le souvenir, à la clinique de Picpus, ou bien treize ans plus tard, dans le moment d'écriture, à la clinique de Passy ? Impossible à dire. Peut-être n'a-t-il lieu que dans mon imagination de lecteur.
Mais voilà une autre phrase, brillante comme un diamant, tirée de la première version de la dernière uvre, Aurelia : "Mon corps était emporté sans souffrance par un courant vif-argent qui me transporta jusqu'au cur de la planète."
Il l'a probablement écrite également à la clinique de Picpus, un an après la césure de Vienne ; c'est là qu'il rédige les ébauches de ses grandes uvres, Sylvie, Pandora, Aurelia, qu'il retravaillera jusqu'à sa mort. On ne doit pas se tromper sur la nature de l'expérience. "Mon corps était emporté sans souffrance par un courant vif-argent qui me transporta jusqu'au cur de la planète" : il s'agit bien de ce que les Grecs nommaient catabase, la descente au royaume des morts, accomplie par Hermès, Orphée, Dante ou encore Faust au Royaume des mères
Nous remarquons que chez Nerval la sensation est belle et harmonieuse : "sans souffrance", "un courant vif-argent" (on devine un fleuve de mercure). Or, là encore, cela "se passe" à Vienne, cette fois dans le palais. Si l'on examine bien le manuscrit, on s'aperçoit que la phrase en question, qui n'a pas été reprise dans la version ultérieure, fait à l'origine partie d'un ensemble qui est manifestement le récit d'un rêve. D'abord, un passage raturé indique le lieu : "Je me vis ensuite transporté à Vienne dans le palais de Schoenbrunn." Cela continue ainsi : "Il me sembla, pendant la nuit, que je me trouvais précipité dans un abyme qui traversait la terre Mon corps était emporté sans souffrance par un courant vif-argent qui me transporta jusqu'au cur de la planète À mon réveil je fus enchanté d'entendre répéter de vieux airs du village où j'avais été élevé."
Tout est réuni dans cette phrase, l'enfance dans le Valois, l'extase et la mort prochaine avec comme point de bascule, lieu cathartique du passage, entre-deux-mondes : Vienne.
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NERVAL, WIEN
Der folgende Text basiert auf einen anderen, etwas literarischeren"Text, in der Literaturzeitschrift L'Infini" (Gallimard) 2013 erschienen, der für eine zweisprachige Lesung verarbeitet wurde, die am Französischen Kulturinstitut in Wien am 9.10.2015 stattfand. (Nervals Gedicht "Fantaisie" wird auf Französisch ohne Übersetzung vorgetragen). Übersetzung aus dem Französischen : Petra Lou. Leserin: Josephine Reich.
Das Gedicht erzählt von einer Melodie, einem Backsteinschloss, einer Dame am Fenster, blond und schwarzäugig, sie stammt vielleicht aus einem früheren Leben... Es ist eines der schönsten Gedichte der französischen Sprache und hat etwas Magisches an sich. Sein Verfasser, ohne den es weder Baudelaire, noch Rimbaud, Lautréamont oder Breton gegeben hätte, war ein sonderbarer kleiner Mann, von zarter geistiger Gesundheit, jedoch außergewöhnlich aufmerksam und sensibel: Gérard de Nerval.
Jener große Dichter ist auch in unsere Stadt, nach Wien, gekommen. Sein viermonatiger Aufenthalt im Winter 1839 war ein Wendepunkt in seinem Leben und seiner Arbeit als Dichter. Davon möchte ich heute Abend erzählen.
Nerval, Wien. Ein Moment mitten im bürgerlichen und romantischen 19. Jahrhundert, ein nostalgischer Besuch alter Zeiten. Ein fiktiver Moment, der in Nervals Werk "Voyage en Orient"/"Reise in den Orient" eingebunden ist. Zwar verbrachte ein gewisser Gérard Labrunie, genannt "de Nerval" einige Monate in Wien, als Gesandter des Königs Louis-Philippe mit einer inoffiziellen obskuren Mission betraut, seine wahre Reise in den Orient fand allerdings erst mehrere Jahre später statt.
Was ist in Wien geschehen? Sichtbare Zeugnisse sind die Artikel, die er aus Wien an Pariser Literaturzeitschriften sandte, oder der Text "Amours de Vienne", den er in sein Werk "Voyage en Orient" aufnahm und der von wahren Begebenheiten ausging, es gibt Briefe und Berichte Außenstehender. Wir stoßen auf den "gastoffe" mit zwei F, wo er Würstel mit Kren isst, die er "wurschell" nennt und eine Mischung aus Weiß- und Rotwein trinkt, was ihm sogar schmeckt (eine Tatsache, die für seine Aufgeschlossenheit spricht, für einen Franzosen zugegebenermaßen eher ungewöhnlich).
"Gastoffe" anstatt Gasthof, "wurschell" anstelle von Würstel, so verdreht er alle Namen, er schreibt "Kirchewasser" und meint damit Kirschwasser, "Miedling" für Meidling, "Hitzing" ohne E für Hietzing etc. Tatsächlich sprach er nicht sehr gut Deutsch, auch wenn er als 20jähriger eine Übersetzung von Goethes Faust angefertigt hatte, die noch heute maßgebend für ihre literarische Qualität, nicht jedoch für die korrekte Verwendung der deutschen Sprache ist (er übersetzt z.B. "er schlägt das Buch auf" mit "er gibt dem Buch einen Schlag").
Man begegnet ihm auf Bällen, doch er kann nicht Walzer tanzen. Er macht Frauen den Hof; eines Abends bringt er ein Dienstmädel nach Hause und als er ihr näherkommen will, sagt sie ihm : "Nix!", er berichtet: "Sie antwortete mir: "Nicht!" oder besser gesagt "Nix!" mit einem resoluten Akzent, der mich an die Invasion von 1814 denken ließ." Er versteht die Wiener nur schlecht und beklagt sich über deren Dialekt: "Diese Mundart ist für mich kaum verständlich."
Man sieht ihn in der französischen Botschaft, damals im Palais Starhemberg untergebracht, wo er unter anderem Liszt und dessen Geliebte, die Pianistin Marie Pleyel kennenlernt, sie inspiriert ihn später zu seiner Figur der Pandora im gleichnamigen Werk. Er trifft den französischen Botschafter Marquis de Sainte-Aulaire, auch er Übersetzer von Goethes Faust, er besucht Konzerte und wird zum Scharadespielen eingeladen.
Er logiert "bei den Wäschermädeln", wie er sagt, in der Wiener Leopoldstadt, erbittet ständig Geld von seinem Vater, den er überzeugen will, dass er überall empfangen wird und dass er arbeitet, sein zweiter Brief "Lieber Papa..." ist gespickt mit Rechtfertigungen und erinnert vage an Kafkas "Brief an den Vater"... Er bezeichnet Österreich seltsamerweise als "das China Europas", und findet Wien provinziell "Alle denken dort nur ans Essen und Tanzen". Kurz gesagt, er fühlt sich hier wohl.
Das ist die helle, sichtbare Seite. Es folgen weitere Bilder: Nerval in Schönbrunn, Nerval am Kohlmarkt, Nerval auf Besuch beim großen Dramatiker und kleinen Beamten Grillparzer, Nerval als Zuschauer bei Stücken von Raimund und Nestroy... Im Grunde genommen sind es nichts als kleine Anekdoten. Aber was ist mit Nerval in Wien wirklich geschehen?
Ich denke, dass in Wien ein Bruch stattgefunden hat und dass er hier zu dem wunderbaren Dichter wurde, den wir kennen. Wir wissen um sein tragisches Ende: In einer kalten Winternacht erhängte er sich in der damaligen rue de la Vieille-Lanterne in Paris, genau dort, wo heute der Souffleur des Théâtre de la Ville am Place du Châtelet sitzt. Seine letzten Zeilen, die er an seine Tante schrieb, waren: "Warte heute Abend nicht auf mich, denn eine schwarz-weiße Nacht steht bevor".
Inzwischen war er dem Wahnsinn begegnet und hatte in Wahn und Traum die Seelenwanderung, die Reise durch die Zeiten, die "universelle Analogie" nach Novalis durchlebt. Sicherlich lag der Ursprung seines Schmerzes und seiner literarischen Berufung in der Suche nach seiner Mutter, die er nicht gekannt hatte. Sie starb in Ostpreußen (im heutigen Polen) während eines Feldzugs Napoleons, als sie ihren Mann, Stabsarzt der kaiserlichen Armee, begleitete. Gérard war damals 2 Jahre alt.
In Preußen. Im Osten. Auf deutschem Boden. Daher rührt die Passion Nervals für Deutschland und die deutsche Literatur, die er mit Hingabe übersetzte (er war auch ein großer Freund Heinrich Heines). Passion für den "Osten". "Reise in den Orient." Wien war für ihn auch Deutschland, aber ein "anderes Deutschland", heiter und leicht, mit allen Klischees, die auch heute noch gültig sind. Musik, Tanz, Theater, Feste, die Wiener Mädel... Die helle Seite, von der wir bereits gesprochen haben.
Gérard de Nerval kam im November 1839 nach Wien, der 29.11. ist der Todestag seiner Mutter. Er wurde depressiv: "Ich bin etwas ermüdet", schrieb er seinem Vater. Es gibt einen Moment, in Schönbrunn, wo ich den Bruch in Nervals Leben wahrnehme, besser gesagt anhand seiner Texte rekonstruiere. Er hatte Schönbrunn schon in seinen Wiener Artikeln beschrieben, aber 13 Jahre später, in der psychiatrischen Klinik von Passy, verfasste er die Fortsetzung seiner "Amours de Vienne": Pandora.
Da hatte er bereits die Schwelle überschritten, die Wiener Erinnerungen waren zu einem Kondensat aus Figuren und Plätzen geworden, hatten sich mit anderen Erinnerungen vermischt, waren mit dem chaotischen Fluss der Fantasie verschmolzen. Schönbrunn taucht auf: "Ich trug meine Träumereien auf den begrünten Hängen von Schönbrunn spazieren. Ich bewunderte die bleichen Statuen des Parks, über dem die Gloriette der Maria Theresia thronte, die Chimären des alten Schlosses entzückten mein Herz und als ich in ihre göttlichen Augen sah, wünschte ich mir an ihren blendendweißen Marmorbrüsten zu trinken." Bei einer flüchtigen Lektüre könnten wir darin eine reizende kleine Szene sehen, ein wenig geziert, "bezaubernd", wie Nerval sie zu schreiben wusste, doch nehmen wir sie wörtlich, ist es das "entzückte Herz", der "entrückte Leib", hingerissen, ist es Ekstase.
Es gibt eine zweite, unveröffentlichte Version dieser Sequenz: "Ich weinte vor den Statuen an den begrünten Hängen von Schönbrunn, an ihrer Stelle sah ich meinen Bruder und meine Mutter und meine große Ahnin Maria Theresia!... "Mein Bruder", mit dem er sich offenbar identifizierte, war der Herzog von Reichstadt, der sich, mutterlos wie Nerval, in den Gemächern Schönbrunns in seiner Melancholie verzehrte. Der Herzog von Reichstadt, genannt "l'Aiglon" (junger Adler, Sohn des Adlers)", war der Sohn von Napoleon und Marie-Louise von Österreich; "meine Mutter" die Erzherzogin Sophie von Bayern, die dem Herzog eine liebevolle Mutter oder große Schwester war. Nerval spricht bereits im Wahn.
Nach seinem Wienbesuch erlitt er eine Nervenkrise, worauf der erste von vielen Aufenthalten in einer Psychiatrischen Klinik folgte. Einem Freund, der ihn in der Klinik von Picpus besuchte, vertraute er an: "Ich bin ein Nachkomme Napoleons, mein Vater ist Joseph Bonaparte, Bruder des Kaisers, der meine Mutter in Danzig empfangen hatte."
Es gab also diesen Bruch. Fand er nun in Wien statt, zu Füßen der Statuen in Schönbrunn, oder nach einem Jahr, in der Erinnerung, während seines ersten Klinikaufenthalts in Picpus, oder vielleicht 13 Jahre später, als er alles in der Klinik von Passy niederschrieb? Wir wissen es nicht. Vielleicht gab es diesen Bruch auch nur in meiner Vorstellung als Leser.
Hier noch eine andere Zeile, strahlend wie ein Diamant, aus einer ersten Version seines letzten Werks Aurelia: "Ich fühlte mich schmerzlos von einem silberglänzenden Strom fortgetrieben bis zum Schoß der Erde."
Sie wurde vermutlich auch in der Klinik von Picpus, ein Jahr nach dem Einschnitt von Wien, niedergeschrieben, es entstanden dort die Entwürfe seiner bedeutenden Werke, Sylvie, Pandora, Aurelia, an denen er bis zu seinem Tod arbeitete. Seine Erfahrungen sind hier ganz deutlich : "Ich fühlte mich schmerzlos von einem silberglänzenden Strom fortgetrieben bis zum Schoß der Erde." Er spricht hier von der griechischen Katabasis, dem Abstieg in das Reich der Toten, wie er von Hermes, Orfeus und Dante vollzogen wurde, oder von Faust ins Reich der Mütter.
Wir bemerken, dass Nerval dies als schön und harmonisch empfindet, "schmerzlos", "ein silberglänzender Strom"(man denkt an einen Fluss aus Quecksilber).
Schauplatz ist auch hier wieder Wien, diesmal das Schloss. Bei der aufmerksamen Lektüre des Manuskripts sehen wir, dass mit den vorangegangenen Zeilen, die in der späteren Version fehlen, ein Ganzes entsteht, das offenbar einen Traum wiedergibt. Am Anfang, in einer gestrichenen Textpassage, finden wir Hinweise auf den Ort: "Dann sah ich mich, fortgetragen nach Wien, in das Schloss von Schönbrunn." Und weiter: "Während der Nacht glaubte ich in einen Abgrund zu stürzen, der die Erdkugel durchschnitt... Ich fühlte mich schmerzlos von einem silberglänzenden Strom fortgetrieben bis zum Schoß der Erde... Ich erwachte, bezaubert vom Klang einer alten Weise aus dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war."
Alles ist in diesen Zeilen vereint: die Kindheit im Valois, die Ekstase, der nahe Tod und, als auslösender Moment, der Ort der Läuterung und des Übergangs zwischen zwei Welten: Wien.